Der Mansfeld kommt

Erinnerungen an Krieg und Frieden

Autor: Helmut Bollmann

 

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Die Grünen Teufel

 

   Während seines Lazarettaufenthaltes, dem sich die üblichen 14 Tage Genesungsurlaub anschlossen, waren die Alliierten bei Anzio/Nettuno gelandet und versuchten jetzt mit aller Gewalt den Marsch auf Rom. Am Volturno leisteten die Deutschen zum ersten Mal seit Sizilien entschlossenen Widerstand. Im Brennpunkt der Kämpfe stand Cassino mit seinem weltberühmten Kloster auf dem Monte.

   Als die Panzerjägerabteilung im Februar 1944 in den Hexenkessel geworfen wurde, war die im Jahre 529 von Benedikt von Nursia gegründete und 1866 zum Nationaldenkmal des jungen Italiens erklärte älteste Abtei des Abendlands bereits ein riesiger Schutthaufen. Die angloamerikanische Luftflotte hatte das altehrwürdige Bauwerk nach dem Motto “Sicher ist sicher” dem Erdboden gleichgemacht, obwohl sich kein einzige deutscher Soldat auf dem 500 Meter hohen Klosterberg befand. Der Abt mochte an diesen Akt der Barbarei erst glauben, als seine alten Mönche unter den Trümmern lagen. Glücklicherweise hatte ein sachverständiger deutscher Stabsoffizier wenigstens die unersetzlichen Kunstschätze des Klosters rechtzeitig im Vatikan in Sicherheit bringen dürfen.  -

   Zu Beginn der zweiten Cassino-Schlacht standen Bolles Kanonen in der Hauptkampflinie am südlichen Stadtrand. Die feindliche Artillerie - an den Hängen vor sich hatte er etwa 400 Rohre gezählt - schoss ins Hinterland. In der HKL war es noch verdächtig ruhig, drüben frühstückten sie wohl. 

   Die anfliegenden Bombergeschwader schienen den Himmel zu verdunkeln. Der Anblick war überwältigend: Flugzeuge, nichts als Flugzeuge bis hin zum Horizont kamen direkt auf ihn zu. Heiliger Benedikt! Das konnte nur Cassino gelten.  Diesmal waren sie dran, das war so sicher, wie das Amen in de Kirche. 

   Das Niemandsland war keine 150 Meter breit. Jetzt war alles andere besser, als in diesem Rattenloch auf den sicheren Tod zu warten. Größtmögliche Feindnähe war in dieser Situation der sicherste Platz. Also, Sprung auf, marsch, marsch! Die dort drüben hatten bestimmt die Köpfe eingezogen.

Es fiel kein Schuss. Der Feind hatte seine vordersten Stellungen irgendwann in der Nacht unbemerkt geräumt. Nicht ohne Grund: Hin und wieder streiften ein paar Fransen des niedergehenden irrsinnigen Bombenteppichs die von den Amis verlassenen Ruinen, der dichtgewebte Teil aber nahm seinen Anfang erst kurz vor Bolles verlassenen Geschützstellungen und pflügte sie um.

Das ging so, weiß der Teufel wie lange, jedes Zeitgefühl war dahin. In der Stadt konnte keine Maus mehr am Leben sein, das schien völlig ausgeschlossen.

   Als die letzten Bomber am Horizont verschwanden und die ersten Panzer kamen, ragten von Bolles Geschützen nur noch einige Spinnenbeine in die Luft, das waren ein paar Holme - und das war auch alles. Die Stadt war ein brennendes, rauchendes Trümmermeer. Der Gegner hatte sich selbst eine unüberwindliche Panzersperre in den Weg gebombt.

Und Leben regte sich in den Ruinen: aus allen möglichen Löchern krochen staubgraue Gestalten hervor, nahmen die sich vorsichtig herantastende feindliche Infanterie unter Feuer und knackten festliegenden Panzer mit Haftminen.

   Die "Grünen Teufel von Monte Cassino", wie der Gegner die deutschen Fallschirmjäger fortan hochachtungsvoll nannte, waren unter schmerzhaften Wehen geboren.

     Der Engländer E. D. Smith, der an diesen Kämpfen teilgenommen hat, schreibt in seinem Buch "The Battles for Cassino" zu diesem Luftangriff:

   "Die Luftwaffenführung war fest davon überzeugt, dass eine Bombardierung in dieser Konzentration aus Cassino einen derartigen Trümmerhaufen und aus seinen Verteidigern solche Nervenbündel machen würde, dass den nachstoßenden alliierten Soldaten der langersehnte Durchbruch nach Rom gelingen müsste. ...

Am 12. März um 8.30 Uhr ließen die Alliierten den gigantischen Schmiedehammer ihrer Luftwaffe auf das Städtchen Cassino niedersausen. Die offiziellen Quellenangaben widersprechen sich hinsichtlich der Zahl der eingesetzten Maschinen, doch darf man rund 500 annehmen, davon  allein  über 300 'schwere', welche in 3 1/2 Stunden über 1.000 Tonnen Bomben abwarfen.  ...

   Einem jungen britischen Offizier schien es ein furchtbares Schauspiel von Lärm und Raserei. Er schrieb in sein Tagebuch: 'Schon nach wenigen Minuten war mir, als müsste ich schreien: Es ist genug! Aber es ging weiter und immer weiter, bis unsere Trommelfelle platzten und die Sinne sich verwirrten. Mehrere Bomben fielen auf meine Kompanie und ließen mich die Flugzeuge verfluchen. Die Aussicht, von den eigenen Leuten getötet oder zermalmt zu werden, ist irgendwie noch schlimmer, selbst wenn das Ergebnis das gleiche sein sollte. Lieber Gott, erbarme Dich dieser armen Teufel in der Stadt.' ...

   Die Bombardierung hatte kaum eingesetzt, als Cassino auch schon von hochwirbelnden Rauch- und Staubwolken der Sicht der Beobachter entzogen wurde, unter denen sich auch General Alexander (der Oberbefehlshaber der Alliierten Streitkräfte in Südeuropa) inmitten einer Gruppe höherer Offiziere befand, welche unweit Cervaro auf einem Hügel Aufstellung genommen hatten. Sie verfolgten das Schauspiel, wie es in einem Bericht heißt, in 'fröhlicher Stimmung'. Die Kampfflugzeuge kamen in aufeinanderfolgenden Wellen und späteren Schätzungen zufolge fiel etwa die Hälfte der Bomben in das Stadtgebiet. Nicht vorgesehene Ziele wurden allerdings auch getroffen, unter anderen alliierte Geschützstellungen und ein marokkanisches Lazarett. Innerhalb des eigentlichen Zielgebietes  waren die angerichteten Zerstörungen verheerend, und durch die wochenlange Belagerung bereits angeschlagen, wurde Cassino jetzt völlig flachgelegt - nicht ein Haus blieb verschont und wo vormals Straßen waren, häuften sich jetzt Trümmer. Das Grauen des Krieges war vollkommen.

In diesem  nicht enden wollenden Inferno lebten und starben die deutschen Fallschirmjäger. Mauern stürzten ein, Bomben rissen Krater in Gärten und Felder auf, Bäume flogen durch die Luft, und über allem lag ein unbeschreiblicher Lärm. ...

  Gegen Mittag wurde das Luftbombardement durch das Feuer aus 600 Geschützen abgelöst, während sich 1,5 Kilometer weiter rückwärts die Neuseeländer, mit dem Bataillon 25 an der Spitze, aus ihren Sturmausgangsstellungen in Bewegung setzten. ... War es aber denkbar, dass etwa überlebende deutsche Soldaten nach einer derartigen Bombardierung noch kämpfen konnten? ...

   Zwei Dinge sollten die Neuseeländer sehr rasch erkennen, als sie mit ihren von Panzern unterstützten Spitzenkompanien den Nordteil der Stadt erreichten: erstens schlug ihnen zur Begrüßung heftiges MG- und Gewehrfeuer entgegen, und zweitens hatten die alliierten Kampfflieger die Deutschen mit einem erstklassigen Panzerabwehrhindernis beliefert. Der Bombenabwurf hatte nicht vermocht, alles Leben in Cassino auszulöschen, was eine böse und nicht vorausgesehene Situation schuf...

Die deutschen Fallschirmjäger, dass heißt, was von ihnen überlebt hatte, waren aus ihren Löchern und Kellern gekrochen und verteidigten hartnäckig ihre Stellungen." 

   Im Verlauf der nächsten Cassino-Schlacht traf Bolle die halbe Welt: Amerikaner, Engländer, Franzosen, Schotten, Gurkhas, Australier, Maoris, Polen und Neuseeländer gaben sich die Klinke in die Hand, holten sich eine blutige Nase und zogen wieder davon. Am berüchtigten "Galgenberg", der gelegentlich den Besitzer wechselte, wurden nächtliche Feuerpausen vereinbart, damit der gegnerische Stabsarzt zu seinen Verwundeten gelangen und sie betreuen konnte.

   Als die Polen schließlich die Klosterruinen am 18. Mai "eroberten", fanden sie in einem der Kellergewölbe 21 schwerverwundete Fallschirmjäger vor, die ihnen von einem leicht verwundeten Fähnrich ganz förmlich übergeben wurden. Die 1. Fallschirmjägerdivision war befehlsgemäß und ungehindert abgezogen.

   

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