Der Mansfeld kommt

Erinnerungen an Krieg und Frieden

Autor: Helmut Bollmann

 

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Der Badewannen-Likör

   Mit dem Chefwechsel war eine totale Veränderung des "Betriebsklimas" eingetreten; durch die Kompanie wehte ein anderer Wind. Alle atmeten erleichtert auf, obwohl sie sogleich in einen fürchterlichen Schlamassel gerieten: Der Feind setzte alles daran, um die Front in Ortona zu durchbrechen, - und ausgerechnet nach Ortona war der Haufe verlegt worden.

   Es war wie immer: Zuerst legten sie von See, Land und Luft her das schöne Seebad in Trümmer, dann kamen die Panzer zusammen mit der Infanterie. Um jeden Straßenzug wurde von Haus zu Haus erbittert gerungen. Wenn die Panzer auf der Straße nicht weiter kamen, fuhren sie einfach durch die Häuser, auf der einen Seite rein, auf der andern wieder raus. Doch diese Taktik ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Vor Bolle's Nase brach so ein schwerer Brocken durch die Kellerdecke. Die schneidige Besatzung stieg ziemlich benommen aus und guckte dumm aus der Wäsche, als ihr nur noch die Wahl zwischen "Hände hoch" und ein paar Handgranate blieb.

  Doch einmal geht alles zu Ende, auch die Munition. Der Nachschub wurde von zahlreichen zweirumpfigen und äußerst wendigen Tiefflieger wirksam unterbunden, so dass schließlich nur noch der Rückzug auf die nächste Ortschaft übrig blieb. Auch der Gegner hatte für diesmal die Schnauze voll und stieß wochenlang nicht nach. -

   Unterwegs zum Abteilungsgefechtsstand begegnete Bolle einigen Angehörigen der Kompanie, die offensichtlich, man sah es schon von weitem, betrunken waren.  Zur Rede gestellt, lallten sie: "Likörfabrik Pescara." Selbstverständlich ließ Bolle, der drei Männer bei sich hatte, die zum Zahnarzt sollten, daraufhin die Abteilung links liegen und fuhr nach Pescara.  Die Likörfabrik war unschwer zu finden, an jeder Straßenecke wiesen ihm schwankende Gestalten den Weg.

   Die Stadt war in der Nacht bombardiert worden; einige Bomben hatten die Fabrik getroffen und eine Kellerwand eingerissen, hinter der riesige, mit edlen Likören gefüllte Fässer verborgen waren. Der Eingang zum Lagerraum war zugemauert, so dass dieser Schatz bisher seiner Hebung entgangen war. "Da müssen erst die Amerikaner kommen", dachte Bolle bei sich und hielt nach Transportgefäßen Ausschau.

   Er war reichlich spät dran. Betrunkene Soldaten hatten auf die Fässer geschossen, aus den Einschusslöchern quoll der kostbare Saft in fingerdicken Strahlen, im Keller stand der Likör bereits knöchelhoch. Eile tat not. Außer einigen großen, unhandlichen Blechdosen, die mindestens zehn Liter fassten und einst Liköressenz enthalten hatten, waren weit und breit keine Gefäße mehr zu finden. Die hatten andere mitgehen lassen, die früher aufgestanden waren.

   Sein Blick fiel auf eine Badewanne. Die schwebte im ersten Stockwerk eines Hauses, dem der Dachstuhl und die Giebelmauer fehlte, am Rande des Abgrundes. Ein paar gebündelte Stielhandgranaten brachten den Mauerrest zum Einsturz und die Badewanne dahin, wo sie dringend gebraucht wurde. Der Stöpsel steckte im Abfluss, das Werk konnte beginnen. Die Wanne wurde quer auf den offenen Geländewagen gehievt, die Männer stiegen mit den Blechdosen in den Keller in ließen sie vollaufen.

   Bolle stellte sich dazu und wachte darüber, dass keiner auf den Gedanken kam, den Likör der Einfachheit halber vom verdreckten Boden zu schöpfen. Er kannte seine Pappenheimer. Zuzutrauen war den Brüdern alles, vor allen denen, die Zahnschmerzen hatten und möglichst schnell ins Krankenrevier wollten.

  Schließlich war die Wanne voll - und Bolle offenbar auch, obwohl er keinen einzigen Tropfen getrunken hatte. Jedenfalls drehte sich alles ein bisschen, als er den Dunstkreis des Kellers verließ und wieder an die frische Luft kam. Heiter gestimmt  scheuchte er den Fahrer vom Steuer, der Wagen und Wanne bewachte hatte und als einziger noch richtig nüchtern war. Den Transport dieser kostbaren Fracht wollte er höchstpersönlich übernehmen.  Statt des dritten, legte er den ersten Gang ein, was jeder, der seine fünf Sinne noch beisammen hat, bei einem Geländewagen mit sieben Gängen nun wirklich nur im Steilgelände tut. Als er Gas gab, setzte sich die verdammte Karre mit einem gewaltigen Ruck in Bewegung. Der Likör schwappte hoch über den Wannenrand und ergoss sich über den Mann am Steuer. Noch heute klebt ihm das Hemd am Rücken, wenn ihm ein Likör angeboten wird. Zum Glück ist dieses Getränk ziemlich aus der Mode gekommen. Heutzutage trinken die meisten lieber Schnaps. –

   Eines Tages schaute der Kommandeur der Pionierabteilung im Kompaniegefechtsstand vorbei, der sich in einer kleinen Villa mit großem Garten befand. Nach reichlicher Bewirtung mit "Pescara"-Likör spielte der Major zunächst "Mamaschi, schenk mir ein Pferchen" auf dem Klavier und zerhackte es dann. Angeblich war es verstimmt. Der Ordonnanzoffizier, der seinen im Suff ausgerasteten Kommandeur wieder besänftigte, war übrigens ein Stiefsohn von Göbbels und entging als einziger der Familientragödie im Führerbunker unter der Reichskanzlei. -

   Für zwei Wochen vertrat Bolle den auf Heimaturlaub weilenden Ordonnanzoffizier der eigenen Abteilung und  kam dabei viel in der Division herum. Bei der Artillerie hockte er stundenlang mit dem Stubenkameraden von der Kriegsschule zusammen und ließ sich in einer Beobachterstellung von ihm zeigen, wie in der Praxis ein Ziel eingegabelt wird. Die gegnerische Artillerie übte sogleich reichlich Vergeltung. - So ein Artilleriebeobachter lebte häufig recht gefährlich.

   Bei den Pionieren revanchierte sich deren Ordonnanzoffizier für die genossene Gastfreundschaft und den Pescara-Likör mit einer Flasche Napoleon. Für seinen Kompanieführer konnte Bolle eine zweite Flasche mitnehmen, als Schadensersatz für das demolierte Klavier.  -

   In einer Furt im Hinterland zogen ein paar Leute ein totes Pferd ans Ufer, das bereits in Verwesung übergegangen war.  Einer der Soldaten stand bis zu den Knien im Schlamm direkt neben dem Kadaver, schöpfte mit seinem Stahlhelm Wasser und trank in durstigen Zügen. Es war ein russischer Hiwi, der zum Ostbataillon 555 gehörte - unsereiner wäre am nächsten Tag an der Cholera gestorben. Der Kommandeur der Russentruppe, ein Baltendeutscher, dem  Bolle einen Befehl zu überbringen hatte, lud ihn zum Essen ein. Der Wodka floss reichlich bei Tisch, aber was ihn wirklich wunderte: die russischen Offiziere rauchten zwischen den Gängen. Undenkbar in deutschen Kasinos

   

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