Der Mansfeld kommtErinnerungen an Krieg und FriedenAutor: Helmut Bollmann
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Der Organisator Die Autos wechselten zwischenzeitlich mehrfach. Dem altersschwachen "Wanderer" war die Puste bei dem Versuch ausgegangen, die Kasseler Wilhelmshöhe zu erklimmen. "Zylinderkopfdichtung durchgebrannt", lautete die Diagnose in der nächsten Werkstatt. Mit der naiven Frage nach Ersatz erzielte Bolle einen beachtlichen Heiterkeitserfolg. In Hessisch-Lichtenau lief die Karre noch auf drei Zylindern, in Waldkappel waren es noch zwei und in Niederhone, kurz vor dem Ziel, überholte ihn an einer leichten Steigung hämisch grinsend ein Radfahrer. Der "Fuhrpark war allein Bolles Sache, auf diesem Gebiet hatte er freie Hand. Dem Wanderer folgte ein "Mercedes", der ebenfalls nicht mehr der jüngste war. Dennoch wollte ihn ein Kiesgrubenbesitzer aus Schwebda gegen ein Nonplusultra eintauschen: ein roter Opel "Admiral" mit Klappverdeck und Lederpolstern in rein äußerlich gutem Zustand wechselte den Besitzer. Es war ein Repräsentationswagen, mit dem man sich in der feinsten Gesellschaft sehen lassen konnte. Im Krieg hatte sich angeblich ein Generaloberst darin fahren lassen. Der Chef zeigte sich echt beglückt. Zu seinem Leidwesen erfuhr Bolle allzu bald, warum der Unternehmer sich scheinbar so übers Ohr hatte hauen lassen. Man hatte ihm einen Säufer angedreht: das Miststück schluckte 24 Liter Benzin auf 100 Kilometer und einen ganzen Liter Öl dazu. - Jetzt erschien die "Werra-Rundschau" schon zweimal in der Woche, doch es haperte an Druckpapier für die gefräßige Rotationsmaschine. Das übernächste Erscheinen war in Frage gestellt. Bolle erhielt von dem amerikanischen Presse-Offizier in Frankfurt einen Geheimtipp und mehrere Stangen Zigaretten. Damit reiste er nach Ibbenbüren, ging in einer Bergarbeitersiedlung von Haus zu Haus und sammelte Deputatkohle, die an einem auf dem Güterbahnhof bereitstehenden Waggon gegen Zigaretten abzuliefern war. Der beladene Waggon rollte dann zur Papierfabrik der Firma "Feldmühle" im Schwarzwald, die ihrerseits nun bereitwillig die dringend benötigten Rollen lieferte. Der Schwarzwald, das war französisches Besatzungsgebiet, da kam er mit dem Rest der Zigaretten verhältnismäßig leicht an zwei Flaschen Pernod, eine für sich und eine für den Chef, der gerne einen hob und rauchte wie ein Schlot, wenn es sein musste Knaster der übelsten Sorte; Hauptsache die Pfeife qualmte. In Eschwege hatten sich die Wohnungsverhältnisse leicht zum Besseren gewandelt. Sie bewohnten jetzt das gesamte Erdgeschoss eines winzigen Fachwerkhauses mit mittelalterlichem Komfort am Dünzebacher Torturm. Die Haustür an der rechten Hausseite öffnete sich zu einem kurzen Flur, dessen halbe Breite die Treppe zum Obergeschoss einnahm. Die erste Tür links führte in ein neun Quadratmeter kleines Wohnzimmer mit zwei kleinen Fenstern zur Straße, die zweite in die Küche mit tristem Ausblick in die angebaute Waschküche. Zwischen beiden wölbte sich der Eingang zu einem Halbkeller, über dem sich eine niedrige Kammer befand, die von der Küche aus über zwei Stufen zu erreichen war. Dem Hauseingang gegenüber lag der Ausgang zum Hof, in dem gleich rechter Hand das Plumpsklo an der Giebelmauer des Nachbarhauses lehnte. Neben der Waschküche hatten die Hühner ihren Stall mit eingezäuntem Auslauf. In krassem Gegensatz zu der bescheidenen Behausung stand ein roter Opel "Admiral" mit Ledersitzen und Klappverdeck, der häufig vor der Haustür parkte. In dieser Wohnung hat Bolle einmal den ehemaligen spanischen Außenminister Don Salvador de Madariaga mit einem Glas Wasser bewirtet. Der glühende Verfechter eines vereinten Europas besuchte den Verleger des öfteren und ließ sich bei einer dieser Gelegenheit von Bolle die Zonengrenze bei Kleinburschla zeigen. Anschließend war er nicht davon abzubringen, das putzige Häuschen zu besichtigen, in dem sein Fremdenführer wohnte. Diesmal war der Gast nicht so prominent. Bolle hatte den politischen Redakteur mit seiner Frau auf ein Gläschen Pernod geladen. Nach dem Essen stellte er die Pulle auf den Tisch und einen Krug Wasser dazu. Hermann hatte noch nie Pernod getrunken, jetzt trank er ihn wie Wasser - ohne Wasser. "Hermann, Du musst das Zeug mischen." - "Ach, hör auf, diesen Lakritzesaft doch nicht." Wie nicht anders zu erwarten, wurde ihm im Laufe des Abends speiübel. Er ging auf den Hof; bei der Rückkehr war er sehr bleich im Gesicht. Bolle saß noch beim Frühstück, als die Hauswirtin schrie: "Meine Hühner, um Gottes willen, meine Hühner!" Er stürzte hinaus und wunderte sich: die Vögel torkelten in ihrem Auslauf, flatterten hilflos mit den Flügeln, fielen um und kamen nur mühsam wieder auf die Beine. Der Hahn lag da wie tot. Die Diagnose war schnell gestellt: Hermann hatte das Plumpsklo rechts liegen lassen und sich nach links über den Maschendrahtzaun übergeben, das Federvieh hatten die Brocken gefressen, jetzt waren die ganze Schar stockbesoffen. "Was haben Sie den gefüttert?" fragte er scheinheilig und fügte gleich tröstend hinzu: "Das gibt sich bestimmt wieder. Hühner haben manchmal solche Anfälle." - "Wirklich? Ich halte schon lange Hühner, doch so etwas habe ich noch nicht erlebt. Aber Sie sind ja bei der Zeitung, Sie müssen es wissen." Das sagte sie ganz im Ernst, ohne jede Ironie. Bolle schämte sich ein bisschen und ging. |
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