Der Mansfeld kommt

Erinnerungen an Krieg und Frieden

Autor: Helmut Bollmann

 

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Die Erstgeburt

   Die erste Ausgabe der "Werra-Rundschau" erschien pünktlich am 2. Januar um 16.00 Uhr mit ganzen vier Seiten. "Looks like a damned book", sagte der für Hessen zuständige amerikanische Presse-Offizier. Und aus heutiger Sicht hatte er verdammt recht.

   Die erste Seite, oben rechts, zierte ein Brustbild von Bolles Tochter mit einem neckischen Pelzmützchen auf dem Kopf. Darunter stand: "Heidi, eine kleine Eschwegerin, wünscht allen Lesern der Werra-Rundschau ein glückliches Jahr 1948."

   Das war nach Ansicht des Amerikaners aber auch der einzige Lichtblick. Die Spalten liefen, praktisch durch nichts unterbrochen, in ermüdender Eintönigkeit von oben nach unten. Die erste Seite mit einem klugen Leitartikel des Verlegers und Chefredakteurs Hans Albert Kluthe und den wichtigsten Nachrichten aus Politik und Wirtschaft sah in der Tat aus wie eine mehrspaltige Bibel. Von einem lockeren Umbruch war nicht einmal ansatzweise etwas zu sehen.

   Verantwortlich für das Debakel war - vom Chef einmal ganz abgesehen - der politische Redakteur, ein Flüchtling aus Schlesien. Seinen Erzählungen zufolge war er bei einer Zeitung in Breslau gewesen, hatte Ärger mit der Gauleitung gekriegt und wurde daraufhin zum Kommiss eingezogen. Der Umbruch war seine Sache offenbar nicht, aber er lernte sehr schnell dazu und gab der ersten Seite bald ein freundlicheres Gesicht. Auf jeden Fall war er ein netter Kerl, der mit dem "Hellschreiber" umgehen konnte, über den die Nachrichten von der Deutschen Nachrichtenagentur (DENA) in Bad Nauheim einliefen. Als er zwei Jahre später zusammen mit seiner Frau am Marktplatz ein lukratives Schreibwarengeschäft mit Toto-Annahmestelle sowie Reisebüro und Konzertagentur aufmachte und zusätzlich noch den Vertrieb der "Werra-Rundschau" in der Stadt übernahm, wurde Bolle sein Nachfolger in der Redaktion. -

   Der Verleger kannte Gott und die Welt und stellte ihnen Bolle als seinen Adlatus vor. Durch ihn kam Bolle in ganz Westdeutschland herum und lernte die Politprominenz  der damaligen Zeit  von A-Z kennen, von Konrad Adenauer bis Karl-August Zinn, damals noch hessischer Justizminister. Bolle war dabei, als der zum Bundespräsidenten designierte Theodor Heuss die zu einer fraktionsinternen Abstimmung aufgerufenen SPD-Abgeordneten mit schwäbischem Humor zur Eile mahnte und sein Hamburger FDP-Parteifreund Schäfer ihn mit den Worten warnte: "Mensch, Heuss, halt bloß die Schnauze, sonst wirste noch zum Bundesflegel ernannt." - "Au recht", meinte der und schmunzelte vor sich hin. Bei der Fete anlässlich der Verabschiedung des Grundgesetzes in der Godesberger "Redoute" becherte Bolle soviel, dass er drauf und dran war, mit Max Reimann, dem Fraktionsführer der Kommunisten, Brüderschaft zu trinken. Gottlob kam es nicht so weit - der Chef zupfte warnend  am Ärmel. -

   Sie übernachteten in den besten Hotels und speisten - allerdings erst nach der Währungsreform - in den feinsten Restaurants. Alles auf Spesen natürlich, sie waren Spesenritter der höchsten Klasse. Allerdings nicht auf Kosten der armen "Werra-Rundschau". Der Chef erhielt nach der Einführung der D-Mark auch die Lizenz zur Herausgabe der gewinnträchtigen Zeitschrift "Neue Frankfurter Illustrierte", zu deren ständigen Mitarbeitern der Frankfurter Zoodirektor Bernhard Grzimek gehörte. Die hervorragenden Witzbilder malte der Künstler Cefischer, der bei einem Bombenangriff auf den Bahnhof Bebra beide Arme verloren hatte, mit dem Mund.

   Während ihrer häufigen Aufenthalte in Frankfurt übernachteten sie im Winter am liebsten im "Sandplacken" dicht unterhalb des Feldberges, im Sommer im Hotel "Zum Schwan" am Rheinufer in Östrich. Bevorzugte Ziele am Rhein waren auch die von den Dichtern der Romantik besungene "Krone" in Assmannshausen oder auf der anderen Stromseite das "Altkölnische Haus" im romantischen Bacharach. Bolle, in dessen Heimat meist Bier getrunken wurde, entwickelte sich zum Weinkenner und Feinschmecker. - Doch das ist Zukunftsmusik.

   

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