Der Mansfeld kommt

Erinnerungen an Krieg und Frieden

Autor: Helmut Bollmann

 

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Der Kirchturmpolitiker

 

Wenn Bolle heute von allen Seiten eingemauert ist, dann hat er sich das selbst eingebrockt. Bei seiner Ankunft in Diedenbergen war die Welt noch in Ordnung. Außer der holprigen Hauptstraße war keine einzige Gasse im Dorf gepflastert, und nirgendwo lag ein Kanal. Wenn der Fleischer in der Hintergasse im Winter schlachtete, gefror das mit Blut vermischte Wasser vorn auf der Hauptstraße zu schönen rosaroten Pfützen. Wenn im Hochsommer die Wasserhähne nur noch tröpfelten, griffen die Leute zum Eimer und  hielten am Dorfbrunnen ihr Schwätzchen.   In diese Idylle platzt Bolle, verschafft der fortschrittsgläubigen SPD in einem populistisch geführten Wahlkampf die Mehrheit im Ortsparlament, lässt sich zum Gemeindevertretervorsteher wählen und fängt an, diese Welt zu verbessern. (Bild: Der inzwischen umgebaute Gasthof ist jetzt ein Feinschmeckerlokal mit zwei Kochmützen im Restaurantführer Gault Millau)

   Fazit: Die Einwohnerzahl hat sich vervierfacht. Diedenbergen wurde zusammen mit den Gemeinden Lorsbach, Wildsachsen, Wallau und Langenhain nach Hofheim eingemeindet, das  heute zu den beliebtesten Wohnorten im Rhein-Main-Gebiet zählt.  Die Baulandpreise sind ins Astronomische gestiegen. Jeder Quadratmeter wird bebaut. Auf dem Nachbargrundstück stand zunächst nur ein Haus mit einem schönen Weingarten davor. Heute stehen dort drei Häuser und versperren den Blick in die Ferne. - So schneidet sich mancher Schlauberger ins eigene Fleisch.

Wenn er den Kirchturm auch nicht mehr sehen kann, so ist er dennoch stolz darauf, in der Diedenbergener Bausatzung die maximal zweigeschossige Bauweise mit verankert zu haben. Die Stadt Hofheim hat diese Bauvorschrift im Eingemeindungsvertrag akzeptiert. Das bedeutet: in Diedenbergen ist kein Haus höher als der Kirchturm. Bauspekulanten haben ihn deshalb als "Kirchturmpolitiker" verschrien, aber die große Mehrheit der Einwohner ist heilfroh, das ihr Wohnort nicht durch hässliche Betonklötze verschandelt werden kann.  Fast das gesamte Gewerbegebiet, das laut Anweisung der Landesregierung von jeder Gemeinde im Rhein-Main-Gebiet auszuweisen war, an eine Großgärtnerei zu verkaufen, war auch kein schlechter Gedanke und hat dem Ortsbild nicht geschadet.

   

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