Der Mansfeld kommt

Erinnerungen an Krieg und Frieden

Autor: Helmut Bollmann

 

<- voriges Kapitel

nächstes Kapitel ->

Der Slot-Editor     

                                                              

   In der computerlosen, der herrlichen Zeit, ging es auf der Redaktion verhältnismäßig geruhsam zu. Mehr als 500 Anschläge pro Minute verkrafteten die Fernschreibleitung nicht. Meist häuften sich die beschriebenen Papierseiten schon gegen 16 Uhr auf dem Schreibtisch des sogenannten slot-editors, über den ausnahmslos alle Inlands- und Auslandsnachrichten liefen.

    Slot-editor hieß der jeweils leitende Redakteur, weil er im Innenraum eines großen, halbrunden Schreibtisches saß, an dem speichenförmig vier Schreibmaschinentische angeordnete waren, die Arbeitsplätze seiner engsten Mitarbeiter. Im Rücken hatte er eine Glaswand mit einem Schlitz, durch den die zu senden Meldungen dem Fernschreiber zugeschoben wurden. Wenn in den späten Abendstunden die Nachrichten nur noch kleckerweise reinkamen und allein der Fernschreiber den Stau abarbeitete, blieb Zeit für ein Schach- oder Kartenspiel.

   Der Mann im slot kannte die Stärken und Schwächen seiner Redakteure ganz genau. Er wusste, wer mit Zahlen oder Himmelsrichtungen liederlich umging, wer mit der Zeichensetzung auf Kriegsfuß stand oder worauf er beim Redigieren ansonsten seine  besondere Aufmerksamkeit lenken musste.

   Bolle genoss in dieser Beziehung einen guten Ruf. Seine Meldungen gingen praktisch unbesehen raus. Einmal musste er eine seiner Meinung nach reichlich überflüssige Nachricht über die Bekämpfung einer Fliegenplage in Indien verfassen. Ein Disput mit dem leitenden Redakteur brachte nichts, er musste diese Meldung machen.

   Als er am Mittag angewiesen wurde, den üblichen Nachrichtenspiegel zu schreiben, auf dem die bis dato wichtigsten Meldungen des Tages in Kurzform aufzulisten waren, erlaubte er sich einen Scherz. Er war sich ganz sicher, dass der penible Mann im slot schmunzeln und diesen Satz streichen würde. Falls dies wider Erwarten doch nicht geschehen sollte, würde er eingreifen. So war es gedacht. - Doch dann musste er sich auf eine Vorrang-Meldung konzentrieren, und die Sache geriet in Vergessenheit.

   Groß war der Schreck, als ein Kollege vom Inland perplex aufschrie: "Wer hat den heute den Nachrichtenspiegel geschrieben?"

 Unter den wichtigsten Nachrichten stand an dritter Stelle: "Chinas Fliegen geht es dreckig." -

   Welterschütternde Nachrichten, wie die das Attentat auf Kennedy, liefen unter

B l i t z  ' ' ' (drei Klingelzeichen), denen im Rang eine

E i l m e l d u n g ' ' (zwei Klingelzeichen) folgte. In beiden Fällen war jede gerade laufende Meldung sofort abzubrechen. Wichtige Meldungen mussten unter

V o r r a n g '  (ein Klingelzeichen) gleich nach der soeben laufenden  Meldung  auf den Draht gehen; das gleiche galt für

B e r i c h t i g u n g ' (ein Klingelzeichen).

   Jeder sinnentstellende Tippfehler der Fernschreiber erforderte laut einer eisernen AP-Regel,  praktisch per Vorrang, eine Berichtigung, wobei auf den Fehler ausdrücklich hinzuweisen war. So kam es zu Kuriositäten wie:

 

B e r i c h t i g u n g '

In AP 45 lesen sie im zweiten Absatz, dritte Zeile bitte richtig: "... Prinz Philipp, der Polospieler ... " (Nicht: ... der Popospieler).

(ende)

   Es hieß immer, ein gute Einleitung sei die halbe Meldung. In Bolles Augen das absolut Schärfste in dieser Richtung war der Satz: "Die Sonne ging nur zögernd auf." Ein Kollege hatte mit diesem einmaligen Naturwunder einen Bericht über die Beisetzung Kennedys eingeleitet. Der Artikel wurde gedruckt wie verrückt, in fast allen  Zeitungen war das der Aufmacher. Bolle selbst hat einmal zwei bekannte Leichtathleten "Unter dem ehernen Geläut der altehrwürdigen Kirchenglocken  Prags" zum Traualtar schreiten lassen. Auch das war ein Renner.

   Bei aller Sorgfalt sind Fehler oder Irrtümer nicht zu vermeiden. Zu jener fernen Zeit, als deutsche Touristen im Ausland noch eine Seltenheit waren und ein Autounfall eines deutschen Urlaubers in Italien durchaus meldenswert schien, erreichte Bolle im Nachtdienst eine Meldung des römischen Büros, der "german tourist" - Vor- und Zuname - sei bei einem Unfall schwer verletzt worden.

Der Hinweis, die Meldung sei nur mit Nennung des Heimatortes verwendbar, veranlasste Rom zu einer Rückfrage bei der Polizei. Stunden später hatten die römischen Kollegen es amtlich: "Carabinieri says hometown is Narben am Leib." 

Kurzes stutzen. Narben am Leib? Nie gehört. Wo liegt denn das? 

Dann die Erleuchtung: Heiliges Blechle!

 Die Polizisten hatten im Pass des Verunglückten "Heimatort" und "Besondere Kennzeichen" verwechselt. Die Meldung blieb ungeschrieben.

   

<- voriges Kapitel

nächstes Kapitel ->