Der Mansfeld kommt

Erinnerungen an Krieg und Frieden

Autor: Helmut Bollmann

 

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Der Rekrut

   Der Empfang beim zuständigen  Wehrbezirkskommando in Eisleben war ausgesprochen kühl.

"Sie haben sich ihrer Dienstpflicht entzogen. Wo haben Sie gesteckt?", war die erste Frage eines  Hauptmanns mit EK I aus dem 1. Weltkrieg.

"Ich war in Prag, ich habe studiert." -

"Sie waren  polizeilich nicht gemeldet." -

"Aber selbstverständlich war ich gemeldet."

"Können Sie das beweisen?" -

"Natürlich kann ich das beweisen." Bolle zog seine polizeiliche Abmeldung aus der Tasche und reichte sie dem Hauptmann. Dessen abweisende Miene verfinsterte sich nach kritischer Prüfung des Dokuments noch mehr. "Schlamperei! So eine verdammte Schlamperei", schiss er eine imaginäre, aber offenkundig bis ins Mark verlotterte Dienststelle zusammen.

   Und nur wenig leiser  fügte er eine frohe Botschaft an: "Sie sind entlastet. Aber für den Arbeitsdienst ist es jetzt zu spät. Sie müssen sofort einrücken. Gehen Sie runter ins Erdgeschoss zur Musterung. Wenn Sie kriegsverwendungsfähig sind, und S-i-e sind bestimmt kV, darauf können Sie Gift nehmen, erhalten Sie umgehend den Gestellungsbefehl. Sie dürfen mit der schönen blauen Donau rechnen."

   Nicht mehr zu diesem blöden Arbeitsdienst! Das war ein Hammer. Bolle konnte sein Glück kaum fassen.  Was beide nicht wussten: Er hätte sich in Prag nicht nur bei den tschechischen, sondern als Deutscher laut einer weithin unbekannten Vorschrift auch bei den deutschen Behörden melden müssen - dann wäre er dem Spaten nicht entgangen.

   Der angekündigte Gestellungsbefehl traf prompt am übernächsten Tag ein. Weil er schon seit der Schulzeit einen Führerschein hatte, wurde er zu einer motorisierten Truppe eingezogen: Die Panzerjägerkompanie eines Infanterieregiments, das später in Stalingrad restlos vernichtet wurde, erwartete ihn in Wien-Strebersdorf. Per Sammeltransport, der vier Tage und drei Nächte unterwegs war, gings dorthin. Wieso der Zug auf einer irrwitzigen Bummelfahrt kurz vor Pressburg, das nun wirklich nicht am Wege lag, fast einen ganzen Tag lang in einer Schneewehe feststeckte, bleibt wohl ewiges Geheimnis der großdeutschen Reichsbahn.

   Wie dem auch sei, der so frohgemut gestartete und nunmehr völlig verdreckte und übermüdete Zivilistenhaufen bot bei der Ankunft am Ziel einen gar trauriges Bild. Bolle konnte seinen, jedenfalls bis zu dieser Reise besten Anzug nach der Einkleidung gleich auf den Müll werfen - die aus dem Leim gegangenen teuren Schuhe und den inzwischen total verbeulten Koffer, in dem er seine Zivilklamotten heimschicken wollte,  eilends hinterher. Es war zum Heulen.

   "Die Ausbildung zum Menschen", wie der Spieß es zu formulieren beliebte, hielt sich im Rahmen des allgemein Üblichen. Kompaniechef war ein Wiener Schulrat und Hauptmann der Reserve, der daheim bei seiner Familie wohnte und sich meist nur vormittags blicken ließ. Die eigentliche Aufsicht führte der einzige andere Offizier der Kompanie, ein gutaussehender, sportlich-eleganter Leutnant, der bescheiden in der Verwaltungsbaracke wohnte, mehr als die übliche Distanz zum Unteroffizierskorps wahrte und sich bei den Rekruten  einer gewissen Beliebtheit erfreute, weil er die Superschleifer im Zaume hielt.

   Der Menschwerdung im Rahmen der infanteristischen Grundausbildung folgte die Ausbildung zum Panzerjäger an der 3,7-cm-Pak, die beim Russlandfeldzug wegen ihrer zu geringen Durchschlagskraft als "Panzeranklopfgerät" in Verruf geriet. Fast täglich wurden drei dieser leichten Geschütze im Mannschaftszug - zwei Mann zogen, zwei Mann schoben - zum Übungsschießen mit Einstecklauf für Kleinkalibermunition auf den Schießplatz im benachbarten Stammersdorf geschleppt.  Beim Rückmarsch im Regen zwangen häufig "Tiefflieger  von hinten" oder "Tiefflieger von vorn" in "Volle Deckung" auf dem durchweichten Acker rechts und links der Straße. Die abendlich Putz- und Flickstunde sollte nicht umsonst auf dem Dienstplan stehen.

   Richtig lustig aber wurde es, wenigstens für die Ausbilder, wenn es dem Leutnant gefiel "G-a-s" zu rufen. Die dann - selbstverständlich nur von den Rekruten - in Windeseile aufzusetzenden Gasmasken waren uralte Dinger mit restlos verrotteten Kohlefiltern, in denen man fast erstickte. War der Alarm vorbei, musterte der pikfeine Hund diebisch grinsend einen Haufen rußgeschwärzter Mohren, strich einem verdatterten Rekruten mit spitzem Finger übers Kinn und sagte spöttisch: "Nicht gut rasiert heut morgen, was?" Die Unteroffiziere lachten schallend, der Rest war  keuchendes Schweigen.

   

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