Der Mansfeld kommt

Erinnerungen an Krieg und Frieden

Autor: Helmut Bollmann

 

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Der Schlipssoldat

    Dauerausgangssperre! -  Ade ihr Tanzlokale, ade ihr Cafehäuser, ade Grinzing, Prater ade. Ein Standortwechsel schien  dringend geboten, diesmal sogar äußerst dringend.  Aber wie, aber wie ---?

   "Die Luftwaffe sucht Freiwillige für ihre Fallschirmtruppe. Wer zu den Schlipssoldaten will, meldet sich anschließend auf der Schreibstube", verkündete der Spieß beim morgendlichen Appell. Mann-oh-Mann, das war die Gelegenheit. Aber  - was war mit der Brille? Er war kurzsichtig und trug seit seinem 16. Lebensjahr diese verdammte Brille.

   Hat man je einen Fallschirmjäger mit Brille gesehen? Es gab Infanteristen mit Brille, es gab Artilleristen mit Brille, sogar bei der Marine gab's Leute mit Brille - Fallschirmjäger mit Brille gab es nicht, weil man mit einer Brille nicht aus einem Flugzeug springen kann. Die  Luftströmung würde das Gestell wegreißen und dabei aus dem Gesicht schieres Hackfleisch  machen.

   Die Sache schien aussichtslos, aber das war im Augenblick scheißegal. Die Tauglichkeitsprüfung fand in einer Schule mitten in Wien statt, und das war die Hauptsache. Zumindest für ein paar Stunden würde er endlich wieder einmal aus diesem tristen Barackenlager rauskommen unter die Leute.  Also hin zur Schreibstube, wo ihm ein grinsender Spieß die erforderlichen Papiere ausstellte. Ein Rindvieh weniger, wird er gedacht haben.

   Die Prüfung begann morgens um halb sieben mit einem Dauerlauf in voller Montur rund um den riesigen Schulhof.  Runde für Runde keuchten etwa 80 Mann über das Pflaster. Schließlich zog sich das Feld in die Länge, und die ersten schieden mit Seitenstechen aus.

Bolle lief um sein Leben, er wusste es nur nicht. Von seiner bisherigen Einheit ist keiner aus Stalingrad zurückgekommen.

   Ein Oberleutnant winkte Nachzügler, denen die Überrundung drohte, aus dem Rennen und machte dem grausamen Spiel erst ein Ende, als das Feld nach einer schieren Ewigkeit auf etwa die Hälfte seiner ursprünglichen Stärke zusammengeschmolzen war.

   Die "Überlebenden" wurden zur ärztlichen Untersuchung geführt. Während die Sanitäter noch mit Messen und Wiegen beschäftigt waren, schlenderte der brillenlose Bolle zur bereits aufgestellten Sehtesttafel und prägte sich  die acht winzigen Buchstaben der untersten Reihe ein.

   Beim folgenden Sehtest, für den er als erster anstand, klatschte ihm ein Sanitätsunteroffizier sein Käppi aufs linke Auge und fragte: "Welche Zeile können Sie noch klar erkennen?"

"Die unterste: B, D, H, M, P, T, U, V."

"Sehr gut." Das Käppi klappte aufs rechte Auge, und gleichzeitig drehte ein anderer Sanitäter gleichmütig die Tafel um. Schreck lass nach - wer ist schon Hellseher. So ein Idiot!  So ein Oberidiot!

"Jetzt links." Bolle rieb sich verlegen das linke Auge.

"Links sehe ich nur noch verschwommen, Herr Unteroffizier, Ich glaube, Sie haben vorhin zu kräftig  draufgedrückt."

"Nun sein'se mal nicht so empfindlich, Mann.  - Los, los, der Nächste." Dabei kreuzte er auf dem Untersuchungsbogen unter LINKS ebenfalls "Sehr gut" an.

   Ein Wunder war geschehen! Die Hürde, die so unüberwindlich schien, sie war genommen.

Drei Ärzte schrieben ihn nach gründlicher Untersuchung auf Herz und Nieren "fliegertauglich", und die  abschließende psychologisch-technischen Prüfung bereitete auch keine Schwierigkeiten.

Die Fallschirmtruppe hatte ihren ersten Brillenträger angemustert.

Sie wusste es nur noch nicht

 

   

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