Der Mansfeld kommt

Erinnerungen an Krieg und Frieden

Autor: Helmut Bollmann

 

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Die Feuertaufe

Auf dem Weg zum Kompaniegefechtsstand war ein  schmaler Waldweg zu kreuzen,  den sie beim Vormarsch unbehelligt überquert hatten.  Jetzt  peitschten ihm zum ersten Mal im Leben plötzlich und unerwartet Kugeln um die Ohren. Mit einem rekordverdächtigen Sprung erreichte er, zutiefst erschrocken, den nassen, aber lebensrettenden Straßengraben und nach kurzem Dauerlauf den Kompaniegefechtsstand.

   "Trocknen Sie erst mal ihre Sachen, sonst kriegen Sie noch 'nen Schnupfen", sagte der Gefreite, der seit Kreta das EK II trug und jetzt mit großer Umsicht den Kompanietrupp führte. Bolle sollte noch viel mit ihm zu tun haben und  ihn Jahre später als bayrischen Arbeitsminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten des Freistaates wiedersehen. Es wurde ein tolles Oktoberfest.

   Nachdem die Klamotten im Schnellverfahren am offenen Feuer einigermaßen getrocknet waren, schnappte er zwei Munitionskästen und machte sich im Laufschritt auf den Rückweg. Vor dem gefährlichen Waldweg legte er eine kurze Verschnaufpause ein und überwand ihn dann aus dem Stand heraus im Sprint; als das Maschinengewehr loshämmerte, war er schon wieder hinter deckenden Bäumen verschwunden.  Bei der Annäherung an das Ufer setzte ein höllischer Granatenhagel ein. Der "Iwan" trommelte jetzt mit Stalinorgeln genau auf diesen Frontabschnitt; das verhieß nichts Gutes...

   Drei Mann waren tot, der linke Unterschenkel des Geschützführers zerfetzt. Die MG-Stellung nebenan hatte ebenfalls ein Volltreffer außer Gefecht gesetzt. Unter dem Feuerschutz ihrer Artillerie querten russische Schlauchboote die Newa und hatten bereits die Mitte des Flusses erreicht.

   "Halt drauf, Mensch, halt drauf", stöhnte der schwerverwundete Geschützführer. Die Kanone war geladen. Bolle nahm das vorderste Schlauchboot ins Fadenkreuz und drückte ab. Schloss auf, laden, richten, schießen. Schloss auf, laden, richten, schießen.  Schloss auf, laden, richten, schießen. Der Unteroffizier, der dem Geschehen hilflos, aber keineswegs teilnahmslos zusah, band sich das noch immer blutende Bein fester ab und atmete befreit auf: Die Schlauchboote trieben schlaff im Wasser - der ohne Rücksicht auf Verluste geführte Entlastungsangriff war abgeschlagen. Und das Bataillon hatte den Brückenkopf offensichtlich eingedrückt.  Nur hier und dort fiel noch ein Schuss. 

      Der Kompaniegefechtsstand wurde in das Hauptgebäude eines Wasserkraftwerks an der Newa verlegt.  Eines der Geschütze war unmittelbar neben einem auf Stelzen an den Steilhang gebautes Turbinenhaus in Stellung gebracht worden; die Bedienungsmannschaft hauste in einem überdachten zickzackförmigen Laufgraben, den die Russen als Luftschutzbunker angelegt hatten. Der einsame Posten im Maschinengewehrnest  beim Geschütz wurde nach jeweils zwei Stunden abgelöst.

   Bolle war an der Reihe. Er lauschte aufmerksam in die Finsternis, aber außer dem Plätschern der Newa war nichts zu hören. Und  zu sehen war bei dieser Dunkelheit schon gar nichts.  Oder doch? Als er auf den Schatten schoss, detonierte eine Handgranate direkt vor seiner Nase. Die Feuerstöße seines MGs streuten blindlings durch die Landschaft. Im fahlen Licht der Leuchtkugeln waren zwei an Land gezogene Schlauchboote zu erkennen. Ein russischer Stoßtrupp hatte den Fluss überquert und sorgte für Remmidemmi.  Als sich der Wirbel legte,  waren die Schlauchboote noch da,  die Russen hatte die Nacht verschluckt

 

   

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