Der Mansfeld kommt

Erinnerungen an Krieg und Frieden

Autor: Helmut Bollmann

 

<- voriges Kapitel

nächstes Kapitel ->

Der Rennfahrer

   Es klopfte. Der Fallschirmjägerfeldwebel, der auf Bolles "Herein" das Zimmer betrat, trug den linken Arm geschient in der Schlinge. Mit der aus dem Verband hervorlugenden Hand umklammerte er einen Schreibblock, in der rechten hielt er den Stift. "Ich soll das Inventar aufnehmen."-

   "Na, dann tun Sie das." Und auf den verletzten Arm deutend fragte Bolle: "Schussbruch? Wo ist  das passiert?"

"Beim Rückzug in Frankreich. - Herr Leutnant", fügte er nach einem flüchtigen Blick auf die Tafel über dem Bett hinzu.

"Wen von der 1. hat's noch erwischt?"

Der Feldwebel schaute ihm lange ungläubig ins Gesicht und blieb stumm wie ein Fisch. Dann traten ihm Tränen in die Augen, er weinte.

"Hör auf zu heulen, alte Memme,  komm her!"

Der Feldwebel rang immer noch nach Fassung: "Du siehst aber zum Heulen beschissen aus."

   Sie hatten schon in Russland zusammen Läuse geknackt, jetzt umhalsten sie sich herzlich - mit der beiderseits gebotenen Vorsicht. Von Stund an herrschte auf Bolles Bude Jubel, Trubel, Heiterkeit. Die Oberschwester machte gute Miene zum fröhlichen Treiben, übersah diskret die dichten Qualmwolken und trank gelegentlich sogar ein Gläschen mit.

   Der Feldwebel stammte aus einem Weingut am Neckar, Heilbronn war sein Heimatlazarett. Er hatte zwei jüngere Schwestern, die jeden Tag Kiepen voller Weintrauben, Weinflaschen und anderer Leckereien herbeischleppten. Und ihre Handharmonika brachten sie selbstverständlich mit.

   Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er bekanntlich aufs Eis tanzen. Bolle hatte einen Rollstuhl bekommen, mit dem er den über die gesamte Breite des bogenförmigen Lazaretts verlaufenden Gang fast so schnell wie ein Radfahrer durcheilen konnte. Das Gefährt hatte nur eine kleine Macke: die Zahnstange der Lenkung war nicht mehr die jüngste, manchmal ratschte sie über ein paar Zähne.

   Der Gong zum Mittagessen war längst verklungen. Er hatte sich bei einem Kameraden festgeschwatzt, es wurde höchste Zeit, aufs Zimmer zu kommen. Der Servierwagen mit den Tellertürmen und dem gewaltigen, dampfenden Suppenkessel stand auf der rechten Gangseite. Der ließ sich mit elegantem Schwung umfahren - dachte er. Das Zahnrad knirschte, die Tellertürme schossen auf ihn zu, die Suppe schwappte kochendheiß über den Kesselrand, die Nudeln hingen nicht nur in den Haaren.

   Die nach dem Unfall erforderliche Operation dauerte fast eine Stunde, immerhin war die Wunde in voller Länge aufgeplatzt.

   Als ihm der Chefarzt mitteilte, dass einer Verlegung ins Heimatlazarett nichts mehr im Wege stehe, schwang ein gewisser Ton der Erleichterung  in dessen Stimme mit. Schließlich leitete er ein Lazarett für schwer verwundete Soldaten und kein Sanatorium für ausgeflippte Rennfahrer und andere Verrückte.

   Der Abschied fiel nicht leicht - selbst die Oberschwester zerdrückte eine Träne. Die Schwestern des Feldwebels stiegen mit in den Sanka ein und begleiteten ihn bis an sein Bett im Lazarettzug. Als Marschverpflegung ließen sie eine Kiste Wein, eine gebratene Gans und einen großen Schinken da. Verhungern oder Verdursten würde er auf der Reise vom Neckar an die Saale nicht

   

<- voriges Kapitel

nächstes Kapitel ->