Der Mansfeld kommt

Erinnerungen an Krieg und Frieden

Autor: Helmut Bollmann

 

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Die "Werra-Rundschau"

   Der Verleger und Chefredakteur, bei dem sich Bolle in den Redaktionsräumen der ehemaligen "Eschweger Zeitung" vorstellte, kam aus der Emigration aus England zurück und hatte die Lizenz für die Herausgabe einer Heimatzeitung, die er "Werra-Rundschau" nennen wollte. Eine seiner ersten Fragen lautete: "Haben Sie einen Führerschein?" Bolle nickte. "Gut, dann stelle ich Sie als Volontär ein. Anfangsgehalt 150 Mark." Das waren 100 Mark weniger, als er vom Landratsamt bekam, aber Geld spielte zu dieser Zeit keine Rolle; die Reichsmark war sowieso nichts mehr wert.

   Am Freitag, dem 2. Januar, sollte die Jungfernausgabe der "Werra-Rundschau" erscheinen. Bolle konnte indes sofort anfangen. Die Amerikaner hatten dem Verleger, der schon damals schlechte Augen hatte und keinen Führerschein besaß, ein Auto zur Verfügung gestellt, einen "Wanderer" ohne Seitenscheiben, den sie einem Schwarzhändler abgenommen hatten. Bolle ersetzte das fehlende Glas im Rahmen durch Pappscheiben, die sich manchmal sogar raufkurbeln ließen, runter natürlich nie, da musste er schon mit der Hand nachhelfen. Es waren viele Vorbereitungen zu treffen, der Chef musste des öfteren nach Kassel, Gießen oder Marburg, und Bolle musste ihn fahren. 

   Ehe der Betrieb so richtig losging, wollte er aber noch Schmuck für den Christbaum und eine Puppe für die Tochter besorgen. Beides gab es in der Spielzeugstadt Sonneberg in der Sowjetzone. Bolle fälschte für alle Fälle einen Passierschein und begab sich  mit einer Tüte Mehl und einer kleinen Flasche Leinöl auf die Reise. Die Hinfahrt verlief reibungslos, in Sonneberg bekam er seinen Christbaumschmuck und eine wunderschöne Puppe, die die Augen auf-  und zuschlug und "Mama" sagen konnte.

   Auf der Rückfahrt machte er einen ganz schweren Fehler. Er hatte dem Lokführer und dem Heizer ein paar Zigaretten gegeben und saß während der gründlichen Grenzkontrolle in Wartha gemütlich auf den Kohlen. Statt in Herleshausen auszusteigen, wo er sicheren westdeutschen Boden unter den Füßen, aber keine Weiterfahrtmöglichkeit gehabt hätte, ging er in sein Abteil zurück, um zum Bahnknotenpunkt Bebra zu gelangen.

   Auf der Fahrt dorthin war nochmals ein kleiner Zipfel der Sowjetzone zu durchqueren. Ein Halt im dortigen Bahnhof Gerstungen war im Fahrplan nicht vorgesehen, der Zug hielt aber wider Erwarten doch. Auf dem Bahnsteig standen ein paar Russen und schickten sich an, die Papiere der Fahrgäste nochmals zu kontrollieren. Ob Bolles gefälschter Passierschein einer genauen Prüfung standhalten würde, war äußerst zweifelhaft. Die leere Autobahn jenseits der Grenze war zum Greifen nahe. Besser schlecht gelaufen als gut gefahren und aus dem Zug geholt zu werden. Er stieg auf der anderen Seite des Bahnsteiges aus und stiefelte los.

   Unmittelbar an der Grenze, es kann auch schon ein Stück jenseits davon gewesen sein, erhob sich ein Russe: "Stoi!". Bolle kramte seinen Passierschein raus. Der Russe winkte ab und ließ sich den Rucksack geben. Zuerst öffnete der Soldat den Karton mit dem Christbaumschmuck, betrachtete die glitzernden Kugeln ein Weilchen, schob den Deckel wieder drauf und legte das Paket  in den Rucksack zurück.

   Dann nahm er den Karton mit der Puppe heraus, und die sagte prompt "Mama". Er ließ das Teufelszeug erschrocken fallen, riss seine Maschinenpistole von der Schulter und befahl Bolle, den Karton zu öffnen. Als die Puppe zum Vorschein kaum, betrachtete er sie ganz verzückt, ließ sie immer wieder "Mama" sagen und gab sie offensichtlich nur schweren Herzens zurück. Dann winkte er. Bolle konnte gehen.

Der schwor sich: Das war das letzte Mal!

   

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