Der Mansfeld kommt

Erinnerungen an Krieg und Frieden

Autor: Helmut Bollmann

 

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Die Amerikareise

Mitte Juni 1953 flog Bolle mit Zwischenstops in  Shannon in Irland und Gander auf Neufundland zunächst nach New York. Drei Tage lief er durch die Straßen und ließ sich von der Weltstadt überwältigen. Er kannte Frankfurt, er kannte München, er kannte Hamburg, er kannte Berlin, ja, er kannte Paris. Aber was war das gegen New York mit seinen Häuserschluchten, Geschäften, Autoströmen und Fußgängermassen.  Irgendwo heulten ständig Polizeisirenen, an jeder Straßenecke gab es gewaltige Ampelstaus, irgendwo war immer etwas los und die Menge eilte achtlos vorüber. Er kaufte sich die erste Ananasfrucht seines Lebens und zerstach sich die Finger bei dem Versuch, sie auf dem Hotelzimmer zu öffnen.

   Für dieses Zimmer zahlte er sechs Dollar, also 24 Mark pro Nacht, ohne Frühstück. Das war im nächsten Drugstore einzunehmen. Serviert wurden gewöhnlich zwei Spiegeleier, Toast, Butter, Marmelade, eine Kännchen Kaffee und ein Glas Orangensaft. Alles zusammen kostete 25 Cents. Für umgerechnet eine Mark war das in Deutschland nicht zu haben. Für 60 Cents erstand er einen Ledergürtel, der sich als zu weit erwies. Für das Stanzen eines einzigen zusätzlichen Loches - das war Handarbeit - musste er einen ganzen Dollar blechen. Ein Haarschnitt kostete  umgerechnet vier Mark; der Frisör daheim machte das für 70 Pfennig.

   Er musste sich diese blöde Umrechnerei abgewöhnen, das führte zu nichts. Schließlich belief sich sein Spesensatz auf 16 Dollar, das waren - Pardon - 64 Mark.

   Im Außenministerium in Washington konnte er seine Reiseroute festlegen, ganz nach Belieben, bitte sehr! Er wählte Chicago, Denver, Colorado Springs, Salt Lake City, San Francisco, Los Angeles, Grand Canyon, Santa Fe, New Orleans, noch mal Washington und New York und, ab nach Hause, Frankfurt. Der zuständige Referent stellte die Gutscheine für die erforderlichen Fahr- und Flugkarten aus und empfahl einen Besuch des "National Press Club".

   An der Bar herrschte am Nachmittag Hochbetrieb. Um diese Zeit hatten die Washingtoner Korrespondenten der Zeitungen und Nachrichtenagenturen Amerikas ihre Meldungen an die Heimatredaktionen abgesetzt und lechzten nach einem Drink. Bolle klemmte sich an die Theke und war im Nu in ein Gespräch verwickelt.  Am Vortag hatten sowjetische Panzer den Arbeiteraufstand in der DDR niedergewalzt, die Fernschreiber der Agenturen in den Clubräumen waren ständig umlagert, Deutschland war das beherrschende Thema.

   Als sich herumsprach, dass Bolle aus Deutschland kam, noch dazu aus einem Ort unmittelbar an der Grenze, stand er im Mittelpunkt des Interesses. Er brauchte keinen einzigen Whiskey mehr zu bezahlen und wurde mit Empfehlungen und Einladungen geradezu überschüttet. Für alle Städte, die auf seinem Reiseplan standen, hatte er Adressen, die er unbedingt aufsuchen müsse: Anschriften, Telefonnummern - private und geschäftliche -, einfach alles.

   In Chicago erwartete ihn tatsächlich schon ein Reporter der "Tribune" und kutschierte ihn zwei Tage lang zu allen Sehenswürdigkeiten der Stadt am Michigansee mit dem größten Binnenhafen der Erde. Er durfte sich nicht einmal mit einer einzigen Gegeneinladung zum Essen revanchieren. Bei der Abreise war die Hotelrechnung schon bezahlt, das hatte die "Tribune" übernommen.

   Der Besuch des Thermalbadeortes Colorado Springs war schon vor der Abreise mit dem "Amerika Haus" in Frankfurt vereinbart worden. Bolle sollte dort Einblick in die Arbeit einer typischen amerikanischen Kleinstadtzeitung nehmen, die ihre erste Seite mit Lokalnachrichten aufmachte. Und von dem, was die Kollegen dort für meldenswert hielten, bekam er bereits auf dem Flughafen einen Eindruck: Auf der ersten Seite des dort am Kiosk erhältlichen Blattes wurde seine Ankunft angekündigt. Drüber hinaus wurde er sofort eingehend interviewt und konnte am folgenden Tag einen langen Bericht über sich selbst lesen, wiederum auf der Titelseite mit Fortsetzung auf der dritten.

   Das hatte mehrere Einladungen zur Folge, darunter eine von einem schon lange vor dem Krieg von Danzig nach Amerika ausgewanderten Arztehepaar. "Sie Ärmster", begrüßte ihn die Gastgeberin, "ich habe für sie ein anständiges deutsches Essen gekocht. American food muss ihnen ja zum Halse heraushängen. Ich habe mich bis heute nicht daran gewöhnt.” Hauptgericht war eine wunderbar knusprig gebratene Gans, die der Doktor fachmännisch tranchierte.

   Das Essen in den amerikanischen Gaststätten war in der Tat nicht berühmt. Selbst dem viel gepriesenen Virginia Ham, Schinken mit Ananasscheiben, konnte er nicht viel Geschmack abgewinnen. Eine  Ausnahme bildete New Orleans mit seiner französischen Küche, die war exzellent, dafür aber auch nicht billig.

   

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